Nach zehn Monaten in denen ich als Mutter mit unserem Kind zu Hause war, ist der Papa nun an der Reihe mit Elternzeit.
Im gleichberechtigten Norwegen ist es ganz normal, dass die Väter nach etwa acht bis zehn Monaten übernehmen und dann ca. vier Monate mit den Kindern zu Hause sind. Mit etwa einem Jahr beginnen die meisten Kinder im Kindergarten. So sind nun aus meiner Krabbelgruppe alle acht von neun Müttern wieder fest im Job. Fast alle gehen direkt wieder 100% zurück in ihre Jobs.
Möchte ich gleich wieder voll arbeiten?
So auch für mich: seit drei Wochen gehe ich wieder ganz normal arbeiten, allerdings 80%. Die ersten Tage waren wirklich hart. Wo ich von meinem norwegischen Bekanntenkreis fast einstimmig gehört habe, dass es so herrlich sei, wieder zu arbeiten, in Ruhe die Tasse Kaffee zu trinken und ununterbrochen “Erwachsenengespräche” zu führen, muss ich eingestehen, dass die ersten Tage nicht nur toll waren.
Ich habe mein kleines Mädchen erst einmal wahnsinnig vermisst. Die ersten Tage habe ich es absichtlich vermieden, Fotos von ihr anzusehen. So ein Jahr Babypause ist wirklich eine entschleunigende Auszeit. Man kann die Gedanken schweifen lassen und einfach mal über alles nachdenken. Da hat mich das Arbeidtstempo und die Hektik erst einmal ziemlich umgehauen.
Jetzt, drei Wochen später, geht es allerdings schon überraschend gut und ich bin wieder drin im Arbeitsalltag. Das hätte ich auch nicht gedacht, dass der Übergang dann doch so geschmeidig gehen kann und dass ich mich doch so schnell wieder einfinden würde.
Der große Vorteil ist, dass ich nach insgesamt elf Monaten (ein Monat vor der Geburt) nicht besonders viel verpasst habe und es so sehr leicht war wieder reinzukommen.
Neue Prioritäten nach dem Babyjahr
Trotzdem wäre es natürlich auch schön gewesen noch mehr Zeit zu Hause zu haben. Vor allem die ersten Tage habe ich mein Kind sehr vermisst. Das norwegische Modell, das übrigens in meiner Krabbelgruppe (fast) alle Mütter fahren ohne es in Frage zu stellen, ist, dass die Mutter nach acht Monaten wieder Vollzeit einsteigt. Eine Stunde “Still-frei” gibt es pro Tag. Darüber hinaus ist man direkt wieder voll eingespannt. Das bedeutet in der Praxis meist um sieben das Haus (und das Kind) verlassen und nachmittags zwischen vier und fünf wieder zu kommen. Doch will ich überhaupt noch so arbeiten wie früher, ohne Kind?
Die Antwort ist: nein. Meine Prioritäten haben sich verändert.
Mein eigener Weg: eine Mischung aus dem deutschen und norwegischen System?
In Norwegen ist es sehr unüblich reduziert zu arbeiten. Dennoch konnte ich es mir einfach nicht vorstellen mit einem zehn Monate altem Baby direkt wieder voll einzusteigen. Dafür bin ich wohl einfach zu deutsch. Es bricht mir das Herz wenn ich mir vorstelle ich habe von dem letzten Rest Babyzeit einfach nichts mehr. Wenn man nämlich im Alltag nur noch abends das Kind sieht, es füttert und ins Bett bringt, bekommt man ja nur noch die müde, quengelige Version ab. Will ich das? Meine Tochter ist JETZT klein. Ich will JETZT für sie da sein und diese Zeit auch geniessen. Deswegen: 80% für den Anfang waren für uns ein guter Kompromiss.
Dass es in Deutschland als ganz normal angesehen wird reduziert zu arbeiten, sobald man Kinder bekommt, hat meiner Meinung nach auch Vorteile. Gleichzeitig könnte ich mir auch nicht vorstellen zu viel zurückzutreten und meine Karriere auf Eis zu legen. Wofür hatte ich dann so lange studiert und meinen Platz hart erkämpft? Deswegen, vielleicht ist eine Mischung aus dem deutschen und dem norwegischen System einen Versuch wert.
Die Sache mit der Gleichberechtigung
Ein großer Vorteil des norwegischen Systems ist, dass Väter zu einem viel größeren Teil mit verantwortlich gemacht und eingebunden werden. Das trägt bei zu einer stärkeren Bindung zwischen Vater und Kind und viel mehr “mit-anpacken-im-Alltag” und auch in der Gesellschaft, bzw. im Berufsleben für viel mehr allgemeines Verständnis fürs Eltern-Dasein und vor allem für die Herausforderungen von frischen Kleinkindfamilien. Seit 2018 müssen alle norwegische Väter, unabhängig von Berufszweig und -position, 15 Wochen Elternzeit nehmen. In den Jahren davor varierte die Väterquote zwischen 10-14 Wochen. Mit anderen Worten, in Norwegen ist es schon seit längerem eine Tradition, dass auch die Väter eine längere Zeit mit ihren Kindern zu Hause sind und die Verantwortung mittragen. Hier habe ich schon den Eindruck, dass es einen großen kulturellen Unterschied zu Deutschland gibt, wo die Hauptverantwortung (vor allem in den ersten Lebensjahren der Kinder) immer noch bei den Müttern liegt.
Da die meiste Väter mindestens zwei, oft sogar vier Monate mit ihren Kindern zu Hause waren, gibt es eine allgemeine Auffassung von verständnisvollem Umgang mit frisch gebackenen Eltern. Das ist jedenfalls unser Eindruck. Wir haben zum Beispiel von beiden Arbeitgebern viel Verständnis und Entgegenkommen erlebt und Björn genießt seine “Pappaperm”. Wir merken jetzt schon, dass die intensive Vater-Tochter-Zeit für eine engere Bindung nicht nur mit der Mutter, sondern eben auch mit dem Vater sorgt.
Ein weiterer grosser Unterschied ist, dass Elternzeit, egal für welchen Elternteil, 37 Wochen voll bezahlt wird. Das heißt, dass das gewohnte Gehalt weiterhin aufs Konto gezahlt wird. Während in Deutschland nur ein Nettobetrag von maximal 1800 Euro im Monat gezahlt wird, mussten wir hier keinerlei finanzielle Einbussen verbuchen nur weil wir ein Kind bekommen haben.
Fazit (Nachtrag, mittlerweile ist über ein Monats seit Arbeitsbeginn vergangen)
Mittlerweile bin ich schon wieder vollkommen im Arbeitsleben angekommen. Das, denke ich, ist der grösste Unterschied. In Norwegen finden die Frauen schnell wieder ins Arbeitsleben zurück, haben kaum finanzielle Einbussen und verlieren den (fachlichen) Anschluss nicht.
Der Nachteil ist, dass es meiner Meinung nach sehr schwer ist sich vom 9-10 Monate alten Baby zu trennen. Vor allem die ersten Wochen waren eine riesige Umstellung und für mich als Mutter sehr gewöhnungsbedürftig. Unter Trennungsschmerz litt allerdings hauptsächlich ich. Vater und Tochter geniessen noch bis November ihre Zweisamkeit in vollen Zügen. Das macht es dann für mich eben doch gut erträglich. 🙂
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